Österreichisches Biographisches Lexikon

Biographie des Monats

Wilhelm Zehner – ein General gegen Hitler.

Am 10. April 2013 jährt sich der 75. Todestag des letzten Staatssekretärs für Heerwesen der Regierung Kurt Schuschniggs, General der Infanterie Wilhelm Zehner. Seine Karriere vom einfachen Soldaten über eine militärische Beamtenlaufbahn zum Bataillons-, Regiments- und Brigadekommandanten sowie letztendlich zum Oberbefehlshaber des Bundesheers ist überschattet von seinem mysteriösen Tod am Tag der Hitler-Volksabstimmung 1938. General Zehner galt als „Vater“ des österreichischen Bundesheeres; er war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und ein Opfer des NS-Regimes. Dass seine Schädelkalotte ohne Wissen der Familie jahrzehntelang im Museum des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Wien ausgestellt war, gehört zu den vielen problematischen Erscheinungen des österreichischen Umganges mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und mit deren Opfern nach 1945.

 

Eine steile militärische Karriere

Wilhelm Petrus Zehner wurde am 2. September 1883 als Sohn eines Privatiers im siebenbürgischen Bistritz geboren und im römisch-katholischen Glauben erzogen. Nach dem Besuch des Gymnasiums absolvierte er die Infanteriekadettenschule Kamenitz bei Peterwardein und diente ab 1902 im Infanterieregiment Nr. 61. Von 1909 bis 1911 absolvierte er den Militärintendanzkurs in Wien. Zunächst im Intendanzdienst tätig, nahm Zehner zum Jahreswechsel 1912/13 an der Mobilisierung während der Balkankrise teil und wurde Anfang November 1913 zum Hauptmann befördert. Am Tag der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien wurde Zehner bei der Intendanz des Kommandos der Balkanstreitkräfte eingeteilt. 1915/16 kämpfte er nach Verlegung des Korps an den italienischen Kriegsschauplatz in den ersten sechs Isonzoschlachten. Auf eigenen Wunsch wechselte Zehner als Truppenoffizier an die Front, kämpfte als Hauptmann im Kärntner Infanterieregiment Nr. 7 und führte später das Sturmbataillon 59, wo er sich durch sein tapferes Verhalten den Namen der „Eiserne Zehner“ erwarb. Bei Kriegsende leistete er Grenzsicherungseinsatz an der Donau im heutigen rumänischen Banat. Nach Beendigung des Ersten Weltkriegs kehrte Zehner zum Kader Feldjägerbataillon 21 nach Wien zurück und bekannte sich zur Volkswehr. Er rückte zum evidenzzuständigen Ersatzbataillon Nr. 7 nach Klagenfurt ein, versah Dienst als Magazinsoffizier und Gebäudeverwalter in der Rudolfskaserne, als Verwalter der Garnisonsschießstätte in Klagenfurt und später als Unterabteilungskommandant bei der Liquidation alter Bestände der k. u. k. Armee. Unterbrochen wurde diese Tätigkeit durch seine Funktion als Kommandant des zum Abwehrkampf gegen die Jugoslawen mobilisierten Marschbataillons Klagenfurt-Stadt I im Mai und Juni 1919. Im Bundesheer der Ersten Republik diente Zehner zunächst im Kärntner Alpenjägerregiment Nr. 11. Nach einer kurzen Verwendung im Bundesministerium für Heerwesen, wo er sich das Vertrauen Carl Vaugoins erwarb, erhielt Zehner 1925 das Kommando über das II. Bataillon des Oberösterreichischen Alpenjägerregiments Nr. 8 in Braunau. Im selben Jahr heiratete er in Wien Maria Krasnitzer. 1928 übernahm er die Kommandantur über das traditionsreiche Alpenjägerregiment Nr. 7 in Linz und avancierte ein Jahr später zum Oberst. 1931 wurde Zehner dem 4. Brigadekommando zugeteilt, 1933 zum Brigadekommandanten befördert.

 

Das Schicksalsjahr 1934

Bei den Februarkämpfen 1934 in Linz zwischen dem Republikanischen Schutzbund auf der einen und der Heimwehr auf der anderen Seite war es im Wesentlichen Zehners militärischer Erfahrung zu verdanken, dass der Aufstand rasch unter Kontrolle gebracht werden konnte. Sein Verdienst lag vor allem in der umsichtigen und zurückhaltenden Kampfweise. Aufgrund seiner Erfahrungen in Straßenkämpfen während des Ersten Weltkriegs wusste er seine Truppen einerseits möglichst schonend einzusetzen, andererseits verantwortungsvoll gegenüber der Zivilbevölkerung und entschieden gegenüber den Aufständischen zu agieren. Im Juli 1934 berief Bundeskanzler Engelbert Dollfuß den zum Generalmajor beförderten Zehner als Staatssekretär für Heerwesen in das Landesverteidigungsministerium nach Wien. Damit erhielt Zehner faktisch den Oberbefehl über die gesamte bewaffnete Macht. Noch konnte Zehner nicht ahnen, dass ihn diese Versetzung innerhalb kurzer Zeit derart in die hohe Politik verstricken würde, dass sie ihn vier Jahre später sogar das Leben kosten sollte.

Mit dem Wissen reichsdeutscher politischer Stellen unternahmen illegale Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 einen Putsch gegen die österreichische Regierung. Angehörige der SS-Standarte 89 verkleidet als Soldaten des Österreichischen Bundesheers bzw. Polizisten drangen in das Bundeskanzleramt ein und erschossen Bundeskanzler Dollfuß. Kurt Schuschnigg, damals Justiz- und Unterrichtsminister, diktierte Zehner das unbefristete Ultimatum an die Putschisten. Zehner übernahm persönlich das Kommando am Ballhausplatz über die dort eingetroffenen Soldaten, Polizisten und das Schutzkorps. Rasch erkannten die Putschisten die Ausweglosigkeit ihrer Lage und gaben auf. Nach der Ermordung Dollfuß’ erwies sich das Heer als entscheidender Machtfaktor bei der Niederschlagung des nationalsozialistischen Aufstands, der in mehreren Gebieten Österreichs nach dem Scheitern des Putschversuchs in Wien ausbrach; die Kämpfe dauerten bis zum 28. Juli. Bereits damals dürfte Zehner, der als Zeuge vor Gericht aussagen musste, in Berlin auf die schwarze Liste gesetzt worden sein.

 

 

Zehner als Reformer des Bundesheers der Ersten Republik

Zehner war maßgeblich am Wiederaufbau und an der Modernisierung des Bundesheers der Ersten Republik bzw. des „autoritären Ständestaats“ beteiligt. Er führte die von der Regierung Schuschnigg 1936 eingeführte Allgemeine Wehrpflicht durch, förderte die Entwicklung der Panzerwaffe sowie der 1919 verbotenen schweren Artillerie. Zu der rudimentär bestehenden Luftabwehr kam eine österreichische Luftwaffe. Zehners Aktivitäten wurden zunächst durch Italien unterstützt, er erhielt einige Bestände der k. u. k. Armee zurück. Auch die Rüstungsindustrie florierte. Die österreichische Infanteriekanone, Spezialfahrzeuge für den Gebirgskrieg und geländegängige Fahrzeuge des Bundesheers fanden über die Grenzen des Landes hinaus die Anerkennung internationaler Fachleute. Zusätzlich pflegte das Offizierkorps des Bundesheers die Wehrwissenschaften, das theoretische Organ „Militärwissenschaftliche Mitteilungen“ genoss Weltruf, ebenso das Kriegsarchiv in Wien. Das große Aufbauwerk Zehners wurde durch zahlreiche Erweiterungen und Adaptierungen aller militärtechnischen Anstalten des Bundesheers ergänzt, auch ein Generalstab wurde neu geschaffen. Mit seiner Haltung geriet Zehner jedoch in Konflikt mit Hitler-Deutschland. Berlin lehnte jede Zusammenarbeit mit Wien in militärpolitischen Belangen strikt ab, denn solange Leute wie Zehner die österreichische Armee führten, könnte kein Vertrauensverhältnis mit dem deutschen Heer aufkommen. Der deutsche Militärattaché in Wien Generalleutnant Wolfgang Muff bezeichnete Zehner im Oktober 1936 explizit als Gegner des Dritten Reichs.

 

 

Ein Gegner in den eigenen Reihen

Innerhalb des österreichischen Bundesheers gab es große Spannungen zwischen Wilhelm Zehner und dem Generalstabschef Feldmarschallleutnant Alfred Jansa. Jansa arbeitete ein groß angelegtes Landesverteidigungskonzept zum Schutz der österreichischen Grenze aus, gegen das sich Zehner – nicht zuletzt aus budgetären Gründen – vehement stellte. Die gegenseitige Ablehnung der beiden Offiziere dürfte auch in der Enttäuschung Jansas begründet sein, dass ein Truppenoffizier das Amt des Staatssekretärs für Heerwesen ausübte.

 

Das Schicksalsjahr 1938

Die politische Lage in Österreich spitzte sich zu. Am 12. Februar 1938 musste Kurt Schuschnigg unter schärfsten militärischen Drohungen Hitlers in Berchtesgaden jenes Abkommen unterzeichen, durch welches bereits zwei Nationalsozialisten an der österreichischen Regierung beteiligt wurden, darunter der Innenminister. Dennoch trat Zehner für einen offenen Kampf gegen Hitlerdeutschland ein und war bereit, Österreich bis zuletzt zu verteidigen. Am Nachmittag des 11. März 1938 trat er mit der gesamten Regierung von seinem Regierungsamt zurück. Davor musste er auf Anordnung Schuschniggs den für ihn persönlich folgeschwersten und furchtbarsten Befehl in seiner militärischen Laufbahn geben: „Wenn deutsche Truppen die Grenze überschreiten, so haben sich unsere Truppen nach Osten zurückzuziehen. Es darf kein Schuss abgegeben werden.“ Schuschniggs Entschluss stand fest, keinen Widerstand gegen das Deutsche Heer zu leisten. Einen Monat später sollte Zehner seine feste Haltung mit dem Leben bezahlen. Unmittelbar nach dem sogenannten „Anschluss“ wurde Zehner zwangspensioniert und gab seine Waffe ab.

 

War es Mord oder Selbstmord?

Um Mitternacht des 10. Aprils 1938 drangen zwei Beamte der Staatspolizei in Zehners Wohnung ein, zerrten ihn aus dem Bett und schoben ihn in den Salon, wo ein Schuss fiel. Als die nacheilende Gattin Zehners das Licht aufdrehte, sah sie ihren Mann am Boden liegen; einer der beiden Beamten soll versucht haben, ihm eine Pistole in die Hand zu drücken. Mit dem Aufschrei „Warum haben Sie ihn erschossen?“, brach die Ehefrau zusammen. Gattin und Dienstmädchen wurden sofort gezwungen ein Schriftstück zu unterzeichnen, wonach Zehner in einem „Anflug von Sinnesverwirrung Selbstmord begangen hat“. Die offiziellen Schriftstücke wie das Protokollbuch des Rettungs- und Krankenbeförderungsdiensts der Stadt Wien sowie das gerichtsmedizinische Gutachten der Universität Wien aus 1938 bescheinigten ebenfalls „Tod durch Selbstmord“. Von diesem sprachen weiters der Polizeikommissar, der den Tatort und -hergang kriminalpolizeilich untersuchte sowie der Gebäudeaufseher des Kriegsministeriums, der allerdings unmittelbar nach dem Vorfall in Zehners Wohnung zum Stillschweigen über diesen Fall angehalten wurde. Der Notarzt der Rettungsmannschaft konnte aus medizinischer Sicht keinen Selbstmord bestätigen. Er vertrat nur aufgrund der Atmosphäre und den Hinweisen der Kriminalbeamten diese Ansicht. Die offizielle Erklärung zum Ableben Zehners in der Öffentlichkeit lautete, dass er zu einer Auskunftserteilung abgeholt werden hätte sollen, aber in diesem Moment Selbstmord verübte.

Obwohl der gerichtsmedizinische Befund eindeutig die These des Selbstmords stützt, kam es im Jahre 1951 zu einer Anklage gegen die beiden mutmaßlichen Mörder. Im Zuge der Verhandlungen sollte geklärt werden, ob aufgrund des bereits vorhandenen Obduktionsbefunds und der übrigen Feststellungen Mord oder Selbstmord anzunehmen sei und ob irgendwelche objektiven Anhaltspunkte die eine oder andere Todesart ausschließen würden. Das Gerichtsverfahren führte aus Mangel an Beweisen zwar zu einem Freispruch, doch Indizien und Zeugenaussagen lassen darauf schließen, dass Zehner als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik ermordet wurde. Abgesehen davon, dass Zehner seine Dienstwaffe mit der Zwangspensionierung abgeben musste, und dass Gattin und Dienstmädchen unter Androhung von Repressalien gezwungen wurden, die Selbstmordtheorie zu unterschreiben, weist insbesondere die Tatsache, dass Zehner am Boden liegend mit dem Revolver in der linken Hand vorgefunden wurde, auf einen fingierten Selbstmord hin. Zehner war Rechtshänder und hätte wohl nicht mit der linken Hand und dann schon gar nicht in die rechte Schläfe geschossen. Darüber hinaus deutet eine höchst fragwürdige Aussage von einem der beiden Angeklagten beim Gerichtsprozess auf eine Verschleierung der wahren Tatsachen hin. Nachdem dieser den General auf dem Boden liegend vorfand, hatte er Zehner angeblich nach dem Grund seiner Tat gefragt, und Zehner soll geantwortet haben, dass er als Offizier eine Verhaftung wegen der Schande nicht überleben wollte. Auf Grund der Schussverletzung ist eine solche Aussage aus rein medizinischer Sicht völlig unmöglich. Die These, dass der Nahschuss für einen Selbstmord sprach, entkräften heute führende Gerichtsmediziner mit der Bestätigung, dass durch Erzeugung eines Nahschusses sehr wohl ein Selbstmord vorgetäuscht werden kann. Auch das Österreichische Kriegsarchiv machte sich später in einem Brief an die Gattin Zehners für die Aufarbeitung und Erhaltung der Mordvariante stark. Ob Mord oder Selbstmord – General Zehners Tod steht in jedem Fall in direktem Zusammenhang mit der Verfolgung und der Verhaftung Andersdenkender nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich, denn letzten Endes wäre auch eine Nötigung zum Selbstmord Mord.

General Zehner galt als einer der besten Truppenoffiziere seiner Zeit. Ein guter Organisator, mit viel Energie und persönlichem Mut, hatte er es, aus eher bescheidenen Verhältnissen stammend, zu Ruhm und Ehre gebracht, blieb selbst aber stets zurückhaltend. Von Natur aus kein Politiker, war er durch und durch Soldat und vor allem ein Mann der Truppe. Als Kommandant übte er stets merklichen Einfluss auf den Geist, die Motivation und die Ausbildung seiner Untergebenen aus. Darüber hinaus genoss er auch das vollste Vertrauen von Bundeskanzler Schuschnigg, der ihn selbst als einen österreichischen Offizier und Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle bezeichnete. Aus der k. u. k. Armee hervorgegangen, fühlte sich Zehner sein Leben lang mit ihr verbunden und hielt die Traditionspflege hoch. Jedoch blieb er keineswegs an Vergangenem haften, sondern stand allen militärischen und insbesondere militärtechnischen Neuerungen aufgeschlossen gegenüber. Mit seinem Amtsantritt wehte ein neuer Wind im österreichischen Bundesheer, der sich vor allem in organisatorischen Belangen positiv auswirkte. Die Zeichen seiner Anerkennung sind vielfältig und reichen von der Auszeichnung mit zahlreichen nationalen und internationalen Orden, über die Benennung der Zehner-Kaserne in Ried im Innkreis bis zum Zehner-Marsch; 2008 wurde sein Leben vom ORF verfilmt.

 

 

 

Literatur: Daniela Angetter, Gott schütze Österreich Wilhelm Zehner (1883-1938), 2. Aufl. 2007 (mit Bildern und Literaturverzeichnis); Martin Prieschl, in: 50 Jahre Wiedererrichtung Garnison Ried - Tapfer, standhaft und treu, 2008, S. 5–7; Allgemeines Verwaltungsarchiv, Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Kriegsarchiv, Museum des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Wien, alle Wien; Materialien im Besitz der General Zehner Kaserne, Ried im Innkreis, OÖ; Mitteilung Annemarie Scherb (†), Wien.

(D. Angetter)


Bildquellen: General-Zehner Kaserne Ried im Innkreis, OÖ., Heeresgeschichtliches Museum Wien, Privatbesitz Daniela Angetter, Privatbesitz Annemarie Scherb.