Der Beginn des Zweiten Weltkrieges

Am 12. März 1938 wurde Österreich für sieben Jahre von der Landkarte getilgt. Fünf Jahre hatte das Land versucht, sich gegen den braunen Terror zu wehren. Im März 1938 gab es keine Verbündeten. Nur Mexiko protestierte gegen den Anschluss.

 

"Österreich, das erste Opfer des Angriffes, der Invasion und der Besetzung der Nazis, wurde im Frühjahr 1945 durch die siegreichen Armeen der Alliierten befreit." Mit diesen Worten leitet der Gründer der Paneuropa- Union, Richard Coudenhove-Kalergi, sein im Jahr 1950 publiziertes Memorandum "Das Problem der Besetzung Österreichs" ein. Am 13. März 1938 hätte in Österreich eine Volksabstimmung über die Selbständigkeit des Landes stattfinden sollen. Am 12. März marschierten auf Befehl des Tyrannen Adolf Hitler deutsche Truppen in Österreich ein und vollzogen den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich. Bereits am Tag davor war die österreichische Regierung mit den berühmt gewordenen Worten des Kanzlers Kurt von Schuschnigg "Gott schütze Österreich" zurückgetreten. Eine Nazi- Regierung hatte die Macht übernommen, Österreich verschwand für sieben Jahre von der Landkarte.

Die in Deutschland seit 1933 an der Macht befindlichen Nationalsozialisten nannten die Annexion Österreichs "Operation Otto". Mit "Otto" war mein Vater Otto von Habsburg gemeint. Der "Völkische Beobachter", das "Kampfblatt" (Eigendefinition) der Nazis, verkündete, dass "Habsburgs entartetster Spross - ein landesflüchtiger Verbrecher" steckbrieflich gesucht werde. Zuvor hatte sich mein Vater mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für eine Verteidigung der Unabhängigkeit Österreichs eingesetzt und einen erbitterten Kampf gegen den Nationalsozialismus geführt. Dazu gehörten auch Appelle an den österreichischen Kanzler, eine Aussöhnung mit den Sozialdemokraten herbeizuführen, um den Anschluss durch eine möglichst breite politische Front der österreichischen Patrioten verhindern zu können. Zuletzt bot er Kanzler Schuschnigg an, die Kanzlerschaft zu übernehmen, um so jenen militärischen Widerstand gegen Hitlers Aggression zu organisieren, zu dem Schuschnigg nicht bereit war. Noch gab es im Bundesheer Offiziere und Mannschaften, die bereit gewesen wären, Widerstand zu leisten, obwohl klar war, dass die Aussicht auf einen militärischen Erfolg praktisch nicht vorhanden war. Meinem Vater war absolut bewusst, dass ein solcher Einsatz für ihn selbst tödlich gewesen wäre, aber er war vom langfristigen Untergang des Nazi-Systems überzeugt und wollte stets, dass Österreich als Opfer der Aggression Hitlers gesehen und anerkannt wird.

Richard Coudenhove-Kalergi floh in der Nacht von 11. auf 12. März 1938 aus seiner Wohnung im Wiener Heiligenkreuzerhof vor den Nazis. Eine Gedenktafel erinnert daran. Sowohl seine Wohnung als auch die ​ Paneuropa-Büros in der Hofburg wurden von der Gestapo gestürmt, alle Unterlagen beschlagnahmt. Als Folge davon befindet sich das Paneuropa- Archiv aus der Zwischenkriegszeit nach wie vor in Moskau. Es war 1938 den Nazis, und 1945 bei Kriegsende der Roten Armee in die Hände gefallen. Auch er, Coudenhove-Kalergi, war ein erbitterter Gegner des Nationalsozialismus, der mit all seinen Mitteln versuchte, die Selbständigkeit Österreichs zu erhalten.

Beide, mein Vater und Richard Coudenhove-Kalergi, wussten, dass eine Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland den Beginn eines großen Krieges bedeuten würde. Man kann den Beginn des Zweiten Weltkrieges - soferne man nicht überhaupt von einem 30-jährigen Krieg im 20. Jahrhundert, der 1914 begann und erst 1945 endete, spricht - deshalb auf den 12. März 1938 datieren. Politisch korrekt hat man sich in Österreich schon vor Jahren darauf geeinigt, Österreich nicht als Opfer der Nazi-Expansion zu sehen, sondern als Mit-Täter. Unbestreitbar gab es Bürger der Republik Österreich, die für den Anschluss eintraten. Vielfach mit Gewalt. Die vielen Attentate, die nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland von Nazis in Österreich ausgeführt wurden, sind ein historisches Faktum. Genauso ist es ein Faktum, dass Bürger dieses Landes zu grausamen Schergen des Regimes wurden. Es gab Opportunisten wie den Staatskanzler der Republik, Karl Renner, die sich geradezu aufdrängten, öffentlichkeitswirksam für den Anschluss zu werben. Und es gab die vielen Mitläufer. Genauso sind die vielen Bestrebungen des Widerstands gegen die Aggression des Nazi-Regimes ein historisches Faktum. Die Söhne von Erzherzog Franz Ferdinand, Ernst und Max Hohenberg, die die engsten Verbindungsleute meines exilierten Vaters in Österreich waren, wurden ebenfalls ins KZ Dachau verbracht.

Zeitzeugen wie Coudenhove-Kalergi oder mein Vater haben das immer wieder betont. Beide versuchten im US-Exil eine österreichische Exilregierung aufzustellen. Dafür war entscheidend, den Staaten der Welt begreiflich zu machen, dass Österreich am 12. März 1938 einem militärischen Einmarsch zum Opfer gefallen war, während die Nazis ihrerseits alles daran setzten, der Welt durch eine gefälschte und unfreie Volksabstimmung zu suggerieren, nahezu alle Österreicher seien begeistert vom Anschluss an Hitler-Deutschland.

Der ehemalige Staatssekretär Dr. Ludwig Steiner, der als junger Mann den Kampf Österreichs um seine Unabhängigkeit miterlebt hatte, wunderte sich bei einer Gedenkveranstaltung vor zehn Jahren im Reichsratssaal, warum nicht mehr darüber geredet wird, wie sich Österreich fünf Jahre lang gegen den Druck der Nazis gewehrt hat, gekämpft hat. Steiner erzählte von den schweren Kämpfen, die das Bundesheer, die Polizei aber auch andere Verbände gegen die illegalen Nazis geführt hatten, und für die Österreich einen hohen Blutzoll zu zahlen hatte.

Warum musste Hitler seine Truppen einmarschieren lassen, wenn eine Mehrheit der Österreicher angeblich so begeistert vom Anschluss war? Dann hätte er die von Bundeskanzler Schuschnigg angesetzte Abstimmung vom 13. März 1938 ruhig abwarten können. Aber sehr wahrscheinlich war die Stimmung damals anders. Das berichten auch Zeitzeugen. Hitler wollte dieses Risiko nicht eingehen. Mit dem Einmarsch begann eine massive Verhaftungswelle gegen die Gegner des Regimes. Legitimisten und Kommunisten waren die ersten, die ins KZ kamen. Karl Zeßner-Spitzenberg, Mitbegründer des "Akademischen Bundes Katholisch- Österreichischer Landsmannschaften", Legitimist und Freund meines Vaters, war das erste Todesopfer der neuen Herrscher. Er wurde am 18. März 1938 während der Hl. Messe von der Gestapo verhaftet und starb wenige Monate später an den Folgen brutaler Folter im KZ Dachau. General Wilhelm Zehner, ein bekannter Gegner der Nationalsozialisten, der auch bereit war, militärischen Widerstand zu leisten, wurde im April 1938 von der Gestapo erschossen. Man stelle sich irgendein anderes Land in Europa vor, das Männer wie Zeßner-Spitzenberg oder Zehner gehabt hätte. Parks, Straßen und Plätze wären nach ihnen benannt worden, zumindest alle zehn Jahre würden große Feiern zu ihrem Gedenken stattfinden. In Wien ist ein Teil der Ringstraße aber nicht nach Wilhelm Zehner sondern nach Karl Renner benannt. Jenem sozialdemokratischen Staatskanzler, der nach vollzogenem Anschluss nicht nur ankündigte, bei der dann von Hitler angesetzten Abstimmung mit Ja zu stimmen und die Sozialdemokraten zum Ja aufrief, sondern dann auch noch eine Schrift für den Anschluss des Sudetenlandes verfasste, die nur deshalb nicht mehr veröffentlicht wurde, weil die deutschen Truppen schneller Fakten geschaffen hatten. Als "Ausgleich" schrieb Renner dann 1945 einen devoten Brief an Stalin. Es gab nur ein Land, in dem der Regierungschef von den Nazis ermordet wurde: Österreich. Engelbert Dollfuß fiel 1934 einem Nazi-Attentat zum Opfer, bereits davor wurden Anschläge auf ihn verübt. Kurt von Schuschnigg wurde im KZ interniert, so wie zahlreiche weitere österreichische Politiker.

Man beurteilt das Handeln dieser Persönlichkeiten in unserer Zeit gerne mit dem Blick von heute. Ein unseriöser Zugang. Gewiss, nicht alle waren Demokraten. Aber wirklich hoch im Kurs stand die Demokratie bei anderen Parteien damals auch nicht. Wir haben Gott sei Dank daraus gelernt. Unbestreitbar sind die Ereignisse von 1938 eine Folge der Ereignisse von 1918. Der Zusammenbruch der europäischen Ordnung, die Zerstückelung des mitteleuropäischen Kulturraumes als Folge des Nationalismus haben ihre Wirkungen gezeigt. Auch wenn sich die Geschichte nicht wiederholt, so wiederholen sich offenbar gewisse Fehler. Ich denke dabei ganz konkret an die Annexion der Krim mit der anschließenden Abstimmung unter Kalaschnikows. Zumindest in diesem Fall gab es internationale Proteste. Aber wieviele ​ Regierungspolitiker in europäischen Ländern - auch in Österreich - wollen längst wieder zur Tagesordnung zurückkehren und die Maßnahmen gegen Russland aufheben?

Die Geschichte können wir nicht mehr verändern. Wir können sie nur anhand der Fakten interpretieren und daraus Schlüsse für die aktuelle und zukünftige Politik ziehen.

 

Der Artikel erscheint auch auf der Seite der Paneuropabewegung Österreich.

 

Veröffentlicht am 9. März 2018.

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